Femizid / Lateinamerika / Ciudad Juárez / Argentinien / Patriarchat / Geschlechtsspezifische Gewalt / Gewalt gegen Frauen / Transgender / Gewalt
Seit einiger Zeit werden in Deutschland zunehmend die Begriffe „Femizid“ oder „Feminizid“ benutzt, um auf strukturelle Ursachen von Tötungsdelikten an cis und trans Frauen zu verweisen. In Lateinamerika hingegen haben schon in den frühen 2000er Jahren zivilgesellschaftliche Gruppen und feministische Wissenschaftler*innen damit begonnen, den Zusammenhang von tödlicher Gewalt gegen Frauen und einer hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit zu betrachten und zu kritisieren. Sozialwissenschaftler*innen, Anthropolog*innen und Jurist*innen von Mexiko bis Argentinien haben sich genauer mit den Erscheinungsformen, Ausmaßen, Ursachen und Kontexten von Feminiziden auseinandergesetzt und politische Antworten gesucht. Die Herausgeberinnen machen in diesem Band eine Auswahl an übersetzten Texten zugänglich, die von oft zitierten Standardwerken zum Feminizid-Begriff bis hin zu aktuelleren Debatten reichen.
In der deutschsprachigen Diskussion wird die lateinamerikanische Literatur bisher kaum rezipiert, u.a. da aufgrund globaler Hierarchien kaum Übersetzungen vorliegen. Um dem entgegenzuwirken, stellt die Publikation nun eine Auswahl an Analysen aus Lateinamerika vor, die Anknüpfungsmöglichkeiten für europäische und deutsche Kontexte eröffnen. Die Texte geben Orientierungen für eine machtkritische Interpretation der hierarchischen Geschlechterverhältnisse. Feminizide werden dabei als Extreme eines Gewaltkontinuums beschrieben, in welchem ein Zusammenhang von tödlicher Gewalt mit zahlreichen weiteren, auch subtilen Gewaltformen sowie strukturellen Abwertungen besteht. Gleichzeitig wird dies in lateinamerikanischen Forschungsarbeiten in den größeren Kontext von Kapitalismus, Kolonialität, Rassismus und Heteronormativität gesetzt. Damit zeigen sie auf, wie der Globale Norden an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Lateinamerika beteiligt ist, und stellen zugleich Anknüpfungspunkte und theoretische Perspektiven für eine Analyse des deutschen Kontextes zur Verfügung.