Afrokultur: Wissen und Geschichte aus Schwarzer feministischer Perspektive. Veranstaltungsbericht von Linda Pasch / Frauen*solidarität
Warum kennen so wenige Menschen May Ayim, W.E.B. Du Bois oder Audre Lorde? (Wobei letztere noch am Bekanntesten ist.) Wieso lesen wir nichts über Schwarze Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen in der Schule oder der Universität, obwohl sie so viel zu unserer Geschichte beigetragen haben? Natasha A. Kelly widmet sich u.a. diesen Fragen in ihrem Buch „Afrokultur“.
Am 16. März präsentierte die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Panafrikanistin – auf Einladung der Frauen*solidarität – ihr Buch in dem bis auf den letzten (Steh!-)Platz gefüllten Veranstaltungssaal des C3. Claudia Unterweger, Historikerin, TV- und Radiomoderatorin, deren Buch „Talking Back“ ebenso kürzlich erschienen ist, saß als österreichische Expertin zum Thema am Podium. Moderiert wurde die Veranstaltung von Shushila Mesquita, die im Referat Genderforschung der Universität Wien arbeitet und an unterschiedlichen Universitäten postkoloniale/queere Theorien unterrichtet.
Kelly ging zu Beginn der Veranstaltung kurz auf die Biographien von May Ayim, W.E.B. Du Bois und Audre Lorde ein und zeigte damit auf, dass aus unserem vermeintlich „objektiven“ europäischen Wissenssystem bestimmte Perspektiven strukturell ausgeschlossen werden, indem eine Schwarze Perspektive darin gänzlich fehlt. Dieser strukturelle rassistische Ausschluss, welcher bis heute anhält, zeigt sich auch in den Arbeiten von Anton Wilhelm Amo, wie Kelly betonte. Den Arbeiten des Schwarzen Rechtswissenschaftlers und Philosophen wird wenig Wissenschaftlichkeit zugesprochen, obwohl er 50 Jahr vor Emanuel Kant ähnliche bzw. gleiche Thesen aufgestellt hat. Durch den Ausschluss seiner Schriften aus dem hegemonialen, weißen Wissenskanon ist der Philosoph kaum bekannt. Hieran zeigt sich auch, dass Wissen rassifiziert verhandelt wird und eine eurozentrische Bewertung von Wissen stattfindet. Kelly nennt diesen aktiven Ausschluss eine Ent_Wahrnehmung von Schwarzem Wissen. Schwarzes Wissen war schon immer da, wurde aber aktiv nicht wahrgenommen. Gleichzeitig lehren und ehren wir rassistische Wissenschaftler*innen wie Kant, welcher ein großer Befürworter des Kolonialismus war. Kelly setzt mit ihrem Buch dieser Ent_Wahrnehmung Strategien zur Sichtbarmachung Schwarzen Wissens entgegen.
Claudia Unterweger, die selbst Teil der Recherchegruppe Schwarze österreichische Geschichte ist – betonte, dass sie in Ihrer Arbeit als Recherchegruppe kaum Quellen gefunden haben, welche von Schwarzen Menschen selbst geschrieben wurden, obwohl Schwarze Menschen schon seit Hunderten Jahren in Österreich leben. Auch Unterweger entlarvte die Unsichtbarmachung von Schwarzen Menschen und ihrer Geschichte in Österreich als Ent-Wahrnehmung. So musste die Recherchegruppe z.B. nach rassistischen Begriffen wie dem N-Wort suchen, um etwas über Schwarze Menschen in der österreichischen Geschichte zu erfahren. In Institutionen wie Schulen und Medien herrscht weißes Wissen vor, weiße Menschen sind legitimiert, über nichtweiße Menschen zu sprechen und zu urteilen. Durch diesen Ausschluss wird ein Gedenken an Schwarze Menschen im öffentlichen Raum verhindert bzw. unsichtbar gemacht. So gibt es fast keine Denkmäler oder Straßen, welche nach Schwarzen Widerstandskämpfer*innen benannt sind oder diese abbilden, obwohl Schwarzer Widerstand gegen Kolonialismus und rassistische Verhältnisse eine Kontinuität besitzt. Kelly betonte in diesem Zusammenhang allerdings den Erfolg der Umbenennung des ehemaligen Groebenufers in das May-Ayim-Ufer. Eine Umbenennungsinitiative in Berlin konnte nachweisen, dass Otto Friedrich von der Groeben am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt war, und stellte daraufhin den Antrag, das Ufer nach der antirassistischen Aktivistin und Dichterin May Ayim umzubenennen. 2010 wurde das Ufer dann umbenannt und Kelly nannte dies einen Meilenstein in der Widerstandsgeschichte, da es nun endlich eine Straße in Deutschland gibt, die nach einer Schwarzen Widerstandskämpferin benannt ist.
Zum Ende der Veranstaltung richteten Kelly und Unterweger einen Appell an das überwiegend weiße Publikum der Veranstaltung: Es ist Aufgabe von weißen Menschen, Rassismus in all seinen Ausprägungen – wie z.B. in der Ent_Wahrnehmung Schwarzen Wissens – aufzuarbeiten und anzuprangern. So haben beispielsweise Student*innen das Recht, die Dinge zu erfahren und zu lernen, die sie erfahren wollen, und sollen deshalb auch einfordern, mehr People of Color zu lesen und keine rassistischen Theoretiker*innen. Kelly machte deutlich, dass weiße Personen in der Pflicht und Verantwortung stehen, antirassistisch zu handeln und Rassismus aufzuarbeiten!